Vor 40 Jahren: Der Atomunfall von Harrisburg (2024)

Fukushima und Tschernobyl – wird heute über die Risiken der Kernenergie gesprochen, führen Atomkraftgegner vor allem diese beiden schweren Reaktorunfälle an. Doch bereits sieben Jahre vor der Reaktorexplosion im Atomkraftwerk (AKW) Tschernobyl schmolzen am 28. März 1979 in einem Kraftwerk in der Nähe von Harrisburg im US-Bundesstaat Pennsylvania Teile eines Reaktorkerns. Radioaktiver Dampf und Wasser drangen nach außen.

Der Unfall ereignet sich im Druckwasserreaktor Three Mile Island, der erst wenige Monate in Betrieb war. Im Block 2 des Kraftwerks fielen in der Nacht zwei Pumpen aus. Das Sicherheitssystem reagierte, um eine Kettenreaktion im Kern zu stoppen: Turbine und Reaktor schalten sich nach dem Ausfall der Kühlpumpen ab. Doch in den folgenden Stunden führten technisches und menschliches Versagen dazu, dass unbemerkt Kühlwasser entwich. Die Temperatur im Inneren des Reaktors stieg, die Brennstäbe erhitzten sich und es kam zur sogenannten teilweisen Kernschmelze. Der Druckbehälter blieb zwar intakt, doch ein erheblicher Teil des Reaktorkerns wurde zerstört. Radioaktiv verseuchte Gase gelangten an die Luft und kontaminiertes Wasser in den Fluss Susquehanna. Techniker und Wissenschaftler fürchteten Gasexplosionen. Fünf Tage später konnte das Kühlsystem wieder in Gang gesetzt und der Reaktor verschlossen werden. Die Aufräum- und Reinigungsarbeiten dauerten über zehn Jahre und kosteten etwa eine Milliarde US-Dollar.

Kritik an der Informationspolitik der Behörden

In der Folge des Atomunfalls von Harrisburg gab es massive Kritik an der Informationspolitik der zuständigen US-Behörden. Zwei Tage nach dem Unfall forderte Richard Thornburgh, der Gouverneur von Pennsylvania, Schwangere und kleine Kinder auf, die nähere Umgebung des Kraftwerks zu verlassen. Schätzungen zufolge sind zwischen 140.000 und 200.000 Menschen zeitweise geflohen oder wurden evakuiert.

Ob der Nuklearunfall zu Gesundheitsschäden geführt hat, ist umstritten. Die amerikanische Atomregulierungsbehörde ging davon aus, dass die Strahlung zu gering gewesen sei, um Menschen zu schädigen. Untersuchungen der Columbia Universität aus dem Jahr 1990 zufolge erhöhte sich in den Folgejahren die Zahl der Blutkrebspatienten im Umkreis von Three Mile Island. Die Aussagekraft der Ergebnisse wurde jedoch angezweifelt. Eine 2017 veröffentlichte Studie des Penn State Medical Center sah einen Zusammenhang zwischen dem Atomunfall und Fällen von Schilddrüsenkrebs im Süden des Bundesstaates.

In der Interner Link: "International Nuclear and Radiological Event Scale" (INES) werden nukleare und radiologische Ereignisse in sieben Kategorien unterschieden. Das Unglück von Harrisburg wurde mit der Stufe 5 und damit als "ernster Unfall" bewertet. Zum Vergleich: Den "größten anzunehmenden Unfall" (GAU) von Tschernobyl stuften die Experten in die höchste Kategorie ("katastrophaler Unfall") ein.

Nachwirkungen und Atomausstieg

Nach dem Super-GAU von Tschernobyl verzichteten zahlreiche Staaten auf den Bau neuer Reaktoren. In den USA dauerte es nach dem Atomunfall von Harrisburg rund 25 Jahre, bis wieder ein Energieunternehmen einen Antrag zur Errichtung eines neuen Kraftwerksblocks stellte, zudem kam es zu Protesten gegen Atomkraft. In der Bundesrepublik Deutschland fiel der Atomunfall von Harrisburg im März 1979 zeitlich mit großen Anti-AKW-Interner Link: Demonstrationen gegen das atomare Zwischenlager in Gorleben zusammen.

Im Jahr 2000 hat die Bundesregierung den Atomausstieg auf Bundesebene beschlossen. Die Novellierung des Atomgesetzes trat 2002 in Kraft. Nachdem der Bundestag 2010 zunächst noch längere Laufzeiten für Atom-Meiler verabschiedet hatte, beschloss er 2011 als Interner Link: Reaktion auf die Nuklearkatastrophe von Fukushima, dass bis 2022 das letzte der aktuell sieben Atomkraftwerke vom Netz gehen soll. Im Gegensatz zum Atomkonsens aus dem Jahr 2000 ist in der 13. AtG-Novelle der Austrittszeitpunkt gesetzlich verankert. Außerdem wurden die acht vorläufig geschlossenen Kraftwerke stillgelegt.

Der Umgang mit ziviler Atomenergie und die Reaktionen auf Atomunfälle unterscheiden sich weltweit stark. Japan fuhr in den Jahren nach der Katastrophe zwischenzeitlich alle Kraftwerke herunter – Ende 2017 war lediglich ein kleiner Teil der zuletzt über 40 Meiler wieder am Netz. Kernenergie wird jedoch auch mit Verweis auf den fortschreitenden Klimawandel als CO2-armer Energieträger diskutiert. Frankreich hält etwa an der Atomenergie fest. Dort stammten 2018 fast drei Viertel des Stroms aus Atomkraftwerken.

55 Atomkraftwerke im Bau

449 aktive Atomkraftwerke gibt es laut der Internationaler Atomenergiebehörde (IAEA) derzeit weltweit – 55 befinden sich im Bau. Die meisten Meiler stehen noch immer in den USA, der größte Teil der neuen Kraftwerke soll in Asien entstehen. Interner Link: Etwas mehr als ein Zehntel der weltweit erzeugten Energie stammte zuletzt aus Atomkraftwerken (2013: 4,8 Prozent). 20 neue Atom-Reaktoren seien in den vergangenen zwei Jahren ans Netz gegangen, sagte der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Yukiya Amano, im Juni 2017. Das sei die höchste Zahl seit den 1980er-Jahren. Damit produzierten Reaktoren in 30 Ländern mit 392 Gigawatt die größte bisher installierte Leistung. Die neuesten Kraftwerke sollen nach Herstellerangaben sicherer sein als bisherige AKW-Modelle und in der Summe weniger Atommüll produzieren. Kritiker bezweifeln diese Aussagen.

Mehr zum Thema:

  • Interner Link: Zahlen und Fakten: Energiemix

  • Interner Link: Lutz Mez: INES - Die Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (Dossier Tscheonobyl)

  • Interner Link: Lutz Mez: Perspektiven der Atomkraft in Europa und global

  • Interner Link: Joachim Radkau: Eine kurze Geschichte der deutschen Antiatomkraftbewegung

  • Interner Link: Melanie Arndt: Auswirkungen der Katastrophe von Tschernobyl auf Deutschland

  • Interner Link: 1986: Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (Hintergrund aktuell, 25.4.2016)

Vor 40 Jahren: Der Atomunfall von Harrisburg (2024)

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